Aufheizung

Seit 1992, dem Jahr des Abschlusses der Klimarahmenkonvention in Rio, ist bekannt, dass die Menschheit das Klima in gefährlicher Weise aufheizt, wenn sie die CO2-Emissionen nicht kontinuierlich senkt. Tatsächlich aber haben die CO2-Emissionen weltweit zugenommen, von jährlich 22 Mrd. t 1990 auf über 40 Mrd. t 2023, obwohl schon damals bekannt war, dass die Erwärmung unter 2 Grad gehalten werden muss, um zu vermeiden, dass das Klima vollends kippt. Wenn das passiert, treten Rückkopplungseffekte auf wie das Auftauen der Permafrostböden, das Abschmelzen des Eises in Grönland und an den Polen, Dürren im Amazonas-Regenwald, der Zusammenbruch des Golfstroms usw. Durch das Erreichen dieser Kipppunkte würde sich die Klimaüberhitzung unumkehrbar selbst verstärken und zu abrupten Klimaänderungen mit einer völligen Destabilisierung der gesamten Biosphäre führen. Die Folgen für das Leben auf der Erde wären desaströs!1 Und einige dieser Prozesse sind bereits im Gang: Permafrostböden schmelzen, die Nordatlantikströmung verlangsamt sich, Waldbrände und Extremwetterereignisse nehmen zu.

„Es geht um Brot und um Trinkwasser. Die chaotischen Wetterverhältnisse werden die Landwirtschaft immer stärker beeinträchtigen. Hunderte von Millionen Menschen könnten ab Mitte dieses Jahrhunderts deshalb Hunger leiden.“2 Schon jetzt ist die Erde stark überhitzt und müsste dringend auf das vorindustrielle Niveau – also um 1,2 Grad – abgekühlt werden. Doch die globale Erwärmung schreitet unverändert voran. Infolge dessen steigt der Meeresspiegel und bedroht insbesondere Inselstaaten in den Tropen wie Vanuatu, Tonga, Dominica, die Salomonen und Fidschi. Im jährlich erstellten Weltrisiko-Bericht berechnen die Autoren die Gefährdung und die gesellschaftliche Verwundbarkeit durch Naturkatastrophen in mittlerweile 181 Staaten. Ganze Regionen könnten unbewohnbar werden, der landwirtschaftlichen Produktion drohen substanzielle Verluste und die Zahl der Hitzetoten droht zu steigen.

Nach dem ersten Teil des 6. Sachstandsberichts des Weltklimarats (IPCC) vom Sommer 2021 beträgt das der Weltgemeinschaft zur Verfügung stehende Restbudget an CO2-Emissionen Anfang 2020 1.170 Mrd. t (2 Grad-Limit) bzw. 400 Mrd. t (1,5 Grad-Limit). Aktuell betragen die jährlichen CO2-Emissionen über 40 Mrd. t. Bei unverändertem CO2-Ausstoß ist das Budget also in etwa 23 Jahren (2047, 2-Grad-Limit) bzw. in etwa 5 Jahren (2029, 1,5 Grad-Limit) verbraucht. Die CO2-Uhr des MCC zählt die verbleibende Zeit unerbittlicher herunter.


1 Nick Reimer, Toralf Staudt: Deutschland 2050. Wie der Klimawandel unser Leben verändern wird. Köln 2021

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2 Klaus Wiegandt: Wir brauchen 200 Mio. ha mehr Wald. moneta 1-2018, S. 6-7

Wir müssen jetzt handeln!

Selbst bei einem Szenario, bei dem die Erwärmung lediglich unter 1,75 Grad gehalten wird, ist schnelles Handeln gefragt. Nach Berechnungen von Prof. Stefan Rahmstorf vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung steht der Bundesrepublik Deutschland (gemessen am Anteil an der Weltbevölkerung von 1,1 %) zur Erreichung dieses Ziels ab 2019 ein Restbudget von insgesamt 7,3 Mrd. t CO2 zu. Dies wäre, selbst bei der Annahme einer linearen Emissionsminderung von jährlich 6 %, 2036 aufgebraucht. Um das 1,75 Grad-Limit zu halten, dürfte danach kein CO2 mehr emittiert werden. Das 1,5 Grad-Limit würde erreicht, wenn jährlich die Emissionen um 7,6 % gemindert würden. 2020 wurde diese Marke fast erreicht, allerdings nicht wegen kluger Klimapolitik, sondern wegen des globalen Corona-Lockdowns. 2023 ist das Restbudget zur Einhaltung des 1,5 Grad-Limits bereits auf unter 3 Mrd. t CO2 abgeschmolzen.

Klimarat empfiehlt negative Emissionen: Moore und Wälder

Solche Szenarien erscheinen unter den real existierenden politischen Bedingungen unrealistisch.3 MaiLab und Rezo 2019 / Rezo 2021 haben es auf den Punkt gebracht. Nach dem Beschluss der EU-Regierungschefs vom Dezember 2020 sollen die CO2-Emissionen bis 2030 um 55 % und bis 2050 auf Null gesenkt werden. Statt prozentuale Zielwerte zu vereinbaren, hätte sich der Beschluss aber am Restbudget orientieren müssen. Im Ergebnis wird nun das für das Erreichen des 1,5 Grad-Limits noch verfügbare CO2-Budget um fast das Dreifache überschritten. Keine guten Aussichten.4

Der Weltklimarat empfiehlt deshalb „negative Emissionen“. Er meint damit insbesondere die Aufforstung und Verbesserung der CO2-Speicherung in Wäldern und die Wiederherstellung von trocken gelegten Mooren.

Moore sind nach den Weltmeeren5 die größten CO2-Speicher, obwohl sie weltweit nur 3 % der Landfläche (in Deutschland 4,2 %, rd. 1,8 Mio. ha) bedecken. Ein großer Teil der Moore wurde von den Menschen trocken gelegt (in Deutschland 92 %), wodurch sie von CO2-Speichern zu CO2-Emittenten wurden. Eine Wiederherstellung der Moore würde diesen Effekt wieder umkehren und die CO2-Emissionen kurzfristig beenden.

Die Wälder weltweit binden noch einmal etwa die Hälfte der in Mooren gebundenen Menge an CO2. Durch den Stopp der globalen Entwaldung, eine nachhaltige, naturnahe Forstwirtschaft und großflächige Aufforstungen insbesondere in tropischen Regionen können schnell große Mengen an CO2 gebunden bzw. deren Freisetzung unterbunden werden.

Grün: Emissionen bis 2018 nach Zahlen des Umweltbundesamtes (für 2018 wurde derselbe Wert wie 2017 veranschlagt; tatsächlich ist der CO2-Ausstoß 2018 wegen des warmen Winterwetters um 4,2 Prozent gesunken). Blau: exemplarische lineare Emissionsminderung, die einem fairen Beitrag Deutschlands zu den Paris-Zielen entsprechen könnte. [1 Gigatonne = 1 Mrd. t]
Grafik: Prof. Stefan Rahmstorf, Creative Commons BY-SA 4.0.

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3 Höhne/Emmrich/Fekete/Kuramochi: 1,5°C: Was Deutschland tun muss. NewClimate Institute, Köln/Berlin März 2019

4 Zur Veranschaulichung eine Analogie:
Meine Badewanne kann noch 10 l Wasser aufnehmen (Restbudget), bevor sie überläuft (Kipp-Punkt), was ich verhindern möchte, um Wasserschäden zu vermeiden. Deshalb handele ich rational, wenn ich den Zulauf so reduziere, dass max. 10 l Wasser zulaufen und kein Tropfen mehr. Ich kann den Wasserhahn abrupt oder schrittweise zudrehen, wichtig ist nur: Am Ende sind nicht mehr als 10 l Wasser zugelaufen.
Der Beschluss der EU-Regierungschefs auf diese Analogie übertragen bedeutet: Der Wasserzufluss wird bis 2030 um 55 % gedrosselt und bis 2050 vollständig abgestellt. Klingt erst einmal gut. Das Problem ist aber, dass über diese 30 Jahre nicht 10 l sondern fast 30 l Wasser in die Wanne fließen, weil die Drosselung nicht ausreicht. Die Wanne fasst aber nur noch 10 l, die 20 l Wasser, die danach noch zulaufen, treten also über den Wannenrand und verteilen sich in der Wohnung mit katastrophalen Folgen für das gesamte Haus.

5 „Die Rolle der Ozeane fürs Klima – und damit auch für uns Menschen – ist kaum zu überschätzen. Wie der Weltklimarat IPCC vor zwei Jahren in einem Sonderbericht festhielt, haben die Weltmeere seit den 1980er Jahren zwischen 20 und 30 Prozent des Kohlendioxids aufgenommen, das wir durch das Verbrennen von Kohle, Öl und Gas verursachen. Ohne die Ozeane würde diese Menge an CO2 ebenfalls in die Atmosphäre gelangen und dort für noch mehr Aufheizung sorgen. So aber landet der Kohlenstoff im Meerwasser. Etwa 40.000 Gigatonnen sind dort bereits gelöst, fast 50-mal mehr als die 850 Gigatonnen in der Atmosphäre und 20-mal mehr, als an Land in Böden und Vegetation gespeichert ist. … Auch die zusätzliche Wärmeenergie im Klimasystem wird von den Ozeanen zu über 90 Prozent geschluckt … und sie produzieren die Hälfte des Sauerstoffs …“ (Frankfurter Rundschau, 18.10.2021)